Mittlerweile gibt es auf dem Markt eine ganze Menge von Büchern über die Französische Reitkunst und die Légèreté. Alleine im Herbst 2009 kamen auf den deutschsprachigen Büchermarkt drei gewichtige Titel:
- die Deutsche Übersetzung von der 12. Auflage Bauchers „Das neue System vom Reiten und Ausbilden“,
- Jean-Claude Racinets „Auf dem falschen Fuß“ sowie
- Dr. Robert Stodulka’s „Das Phänomen François Baucher“.
Zusammen mit den anderen (siehe auch Buchempfehlungen) lassen sie eigentlich nur ganz wenige Fragen zu dem Thema offen.
Und trotzdem: obwohl es bereits so viele Büchern gibt, die sich tief mit dem Thema auseinandersetzen, bekommt man immer noch die Meinung zu hören, die Légèreté ist eine Art des Herumfummelns im Pferdemaul und der Baucherismus die Gebrauchsanweisung dazu. Dass die Gegner der Französischen Schule an dieser Auffassung fest halten, um das Ganze dann als abstrus zu verurteilen, ist nachvollziehbar.
Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass das Légèreté-Konzept, so wie es die Baucheristen der zweiten Manier beschreiben, viele sehr nützliche Anregungen bietet. Das trifft ganz besonders auf einen Freizeitreiter zu, dem vor allem die Gesundheit seines Pferdes am Herzen liegt.
Um allerdings davon profitieren zu können, muss man etwas tiefer einsteigen als die üblichen, gängigen Klischees. Deswegen habe ich einen Versuch unternommen, den Lesern die Légèreté, so wie ich sie kennen und mögen gelernt habe, etwas näher zu bringen.
Ein geschichtlicher Überblick
Wörtlich übersetzt heißt Légèreté so viel, wie Leichtigkeit oder Leichtheit und so wird das Wort am häufigsten in der Deutschen Literatur wiedergegeben.
Dieser Begriff hat in der Französischen Reiterei eine lange Tradition, wir treffen ihn bereits bei dem genialen Reitmeister der Barockzeit, François Robichon de la Gueriniere (1688 – 1751).
Passend zu dem leichten, lebensfrohen Geist seiner Epoche meint La Gueriniere unter Légèreté eine angenehme Bereitschaft des Pferdes, den Anforderungen des Reiters freiwillig zu entsprechen, also auf feine Hilfen des Reiters willig und mit Elan zu reagieren, was dem Reiter eine Führung mit leicht durchhängenden Zügeln und sehr sanft anliegenden Beinen ermöglicht.
François Robichon de la Gueriniere (1688 – 1751).
Ein nach seiner Auffassung gut ausgebildetes Pferd soll unter anderem in der Lage sein, so weit ohne jeglichen Druck des Reiters zu arbeiten, dass es Lektionen wie z.B. das Schulterherein auch bei komplett hingegebenem Zügel unverändert fortsetzen kann (descente de main).
François Baucher und die Légèreté
Die Légèreté wird aber vor allem mit einem anderen Französischen Reitmeister in Verbindung gebracht, mit dem François Baucher (1796-1873), der diesen Begriff wie kein anderer prägte.
François Baucher (1796-1873)
In seiner ersten Schaffensperiode (die sogenannte Erste Manier) hat Baucher die Mobilisationen des Unterkiefers und die Abbiegungen des Pferdehalses in großem Umfang praktiziert. Dadurch hat er wesentlich dazu beigetragen, dass man bis heute die Légèreté mit alleinigem Bearbeiten des Pferdemauls assoziiert.
Baucher entwickelte in dieser Zeit eine ganze Reihe von Übungen, die das Pferd leicht in der Hand machen sollten und seine Kräfte dem Willen des Reiters unterwerfen.
Abbiegungen Bauchers
Wenn man Bauchers „Das neue System“ liest, bekommt man manchmal den Eindruck, dass er vielleicht sogar selbst phasenweise glaubte, dass man allein mithilfe von diesen Techniken jedes Pferd ausbilden könnte. Der Grund für diesen Glauben war allerdings mehr als eine Egomanie und blinder Eifer, wie manche es ihm heute unterstellen. Mit den Mobilisationen und Abbiegungen hat Baucher ganz außergewöhnliche Erfolge erzielt und das oft bei Pferden, die niemand außer ihm weder reiten noch ausbilden konnte. Aus der heutigen Sicht wissen wir, dass Bauchers Techniken starke heilende Wirkung aufweisen bei Pferden mit Gelenkblockaden, besonders in der Hals- und Brustwirbelsäule. Viele heutige Autoren sehen Baucher deswegen sogar als den ersten Pferdeosteopathen. (Dr. Robert Stodulka, ein Tiermediziner und ein feinfühliger Pferdeosteopath beschreibt gerade diesen Aspekt in seinem Buch ganz ausführlich.)
Baucher hat zweifelsohne mit seinem herablassenden Schreibstil viele Menschen verärgert und damit zum Entstehen der negativen Klischees beigetragen. Wenn man aber die Sache ehrlich betrachten möchte, dann darf man nicht vergessen, dass zu seiner Zeit die Mobilisationen des Unterkiefers in ganz Europa „in“ waren, nicht alleine in Frankreich sondern durchaus auch in Deutschland.
Gerade der erbitterteste deutsche Gegner Bauchers, Louis Seeger (1798 – 1865) (der Onkel und Reitlehrer Gustav Steinbrechts) verfolgte, was das Maul betrifft, ähnliche Überzeugungen. So ließ er sich auf einem Pferd mit breit geöffneten Maul abbilden.
Louis Seeger (1798 – 1865)
Die Zweite Manier Bauchers
Es war ein schwerer Unfall, der Baucher dazu zwang, seine bisherigen Überzeugungen zu überdenken. Die darauf folgende Schaffensperiode, die sogenannte „Zweite Manier“ ist leider viel weniger bekannt als die Erste. Das ist schade, denn gerade diese liefert (aus meiner Sicht) die wertvollsten Anregungen.
Im Rahmen der Ersten Manier beugte Baucher den Unterkiefer und Hals des Pferdes so lange, bis sie komplett weich geworden sind. Mit der Zeit verloren aber manche seiner Pferde den Vorwärtsdrang und er konnte sie nur mit massivem Einsatz der treibenden Hilfen wieder vorwärts bringen. Da die Pferde aber aufgrund der Abbiegungen sehr lose im Hals waren, konnte er dabei nicht mal auf eine kräftigere Anlehnung zurückgreifen, um die Dinge damit schnell wieder in Ordnung zu bringen.
Ein schwerer Unfall, der ihm der Kraft in seinen Beinen beraubte, zeigte ihm eindeutig die Mängel dieses Systems. Baucher nahm die Herausforderung an und überarbeitete das System grundlegend.
Und so hat er in der Zweiten Manier die Abbiegungen und Mobilisationen ganz streng nur auf die ersten Wochen der Ausbildung beschränkt. Auf die Zeit also, wo sie einem Pferd, das mit Gelenk-Blockaden in die Ausbildung bzw. in die Korrektur kommt, tatsächlich sehr gut helfen können. Er untersagte zugleich die weitere Verwendung nach dem Ablauf der ersten Wochen, um die Stabilität des Halses nicht mehr zu gefährden.
Um das Bild vollständig zu machen muss man einen kleinen Ausflug auf die andere Seite des Rheins unternehmen: die neue, modifizierte Variante der Abbiegungen funktionierte so gut, dass die Preußische Kavallerie sie in ihren Reitvorschrift integriert hat, als die Ausbildungstechnik für junge Pferde! Ich kenne persönlich einige etwas ältere Reiter, die die Abbiegungen des Pferdehalses keineswegs mit der Französischen Schule sondern mit Preußischer Kavallerie in Verbindung bringen.
Preußischer Soldat beim Abbiegen
Und wer den heutigen deutschen Springreitern beim Abreiten zuschaut, wird auch ein ähnliches Bild entdecken. So gesehen können wir auch die Abbiegung des Halses nicht als rein französisch einstufen.
Was das Lösen des Unterkiefers und das Mobilisieren des Maules betrifft, ein Punkt, bei dem Bauchers Erste Manier und die Einstellung Seegers sich so ähnlich waren, verlief die weitere Entwicklung in Frankreich wie in Deutschland nahezu identisch: man ging von dem weiten Öffnen des Pferdemaules weg. Man wollte weiterhin ein tätiges Maul, aber ohne Aufsperren, sondern eher ein diskretes Kauen bei nahezu vollständig geschlossenem Maul. In dieser Form finden wir es sowohl in der Zweiten Manier Bauchers, als auch in den Deutschen Reitvorschriften bis in die Nachkriegszeit und auch bei den auf der Iberischen Halbinsel tätigen Baucheristen wie z. B. Nuño Oliveira.
Légèreté in der Zweiten Manier
Wenn in der Ersten Manier dem Leser manchmal nicht ganz klar ist, ob Baucher nicht tatsächlich selber an die übertriebene Wichtigkeit des Mauls und seiner Bearbeitung geglaubt hat, dann hat er das auf jeden Fall im Rahmen der Zweiten Manier ganz eindeutig korrigiert.
Baucher hat zu dieser Zeit selber nicht mehr viel geschrieben. Zum Glück haben sich seine zwei prominentesten Schüler, zwei Kavallerie-Generäle: Faverot de Kerbrech und Alexis l’Hotte die Mühe gemacht, den Unterricht Bauchers in ihren Büchern breiterem Publikum zugänglich zu machen.
General Alexis l’Hotte (1825 – 1904)
Ihre Beschreibung der Légèreté ist bei beiden nahezu identisch und basiert auf ihren Aufzeichnungen aus dem Reitunterricht bei Baucher:
Unter Légèreté versteht man den sofortigen Gehorsam auf die leichteste Andeutung des Zügels und des Schenkels, wobei das Pferd auf „Nachfragen“ mittels Halbspannung eines oder beiden Zügel mit einem willigen und leichten Nachgeben im Unterkiefer reagieren soll. Das Pferd soll dabei sein Maul nur so weit öffnen, dass eine Schluckbewegung der Zunge möglich wird. Es muss dabei eine Schluckbewegung durchführen, welche ein Anheben und Fallenlassen der Gebisse im Maul bewirkt, und von einem typischen Klang, der durch diese Bewegung der Gebisse hervorgerufen wurde, begleitet ist.
General Alexis l’Hotte
Die Definition de Kerbrechs, in seinem Buch „ Die methodische Ausbildung des Reitpferdes nach den letzten Anweisungen von François Baucher“ enthalten, ist nahezu identisch.
Das wesentliche diesen Zitats finden wir gleich am Anfang des ersten Satzes: leichteste Andeutung des Zügels und des Schenkels.
Damit wird es klar, dass die Auffassung der Légèreté in der Zweiten Manier Bauchers eine viel reichere und viel umfassendere geworden ist. Nach dieser Auffassung kann eine wahre Légèreté niemals eine Sache des Mauls alleine sein, sondern bezieht sich auf den Gesamtzustand des Pferdes. Um der Anforderung nachkommen zu können, nicht nur in der Hand sondern auch am Bein sehr leicht zu sein, muss das Pferd sehr gut gymnastiziert und in sehr gutem Gleichgewicht sein.
Manche Kritiker können natürlich einwenden, dass auch ein Pferd, dass ohne tätigen Rücken ausgebildet worden ist (ein Schenkelgänger) ebenfalls zügig auf den Schenkel reagieren kann – indem es vor dem Schenkel flieht. Man muss aber davon ausgehen, dass auch der General l’Hotte diesen Unterschied sehr wohl kannte, während er seine Worte schrieb. Denn er hat seinen Schülern ein weiteres Gebot mitgegeben: calme, en avant, droit (ruhig, vorwärts, gerade).
Ein Pferd, das vor dem Schenkel flieht befindet sich im Zustand einer gewissen Unruhe und entspricht damit l’Hottes Gebot nicht.
Die Zweite Manier und die Deutschen Reitmeister
Was die Légèreté-Definition von l’Hotte und de Kerbrech aber noch viel interessanter macht, ist der Fakt, dass sie sich – zumindest in meinen Augen – nicht wesentlich von der Auffassung der zahlreichen Deutschen Reitmeistern unterscheidet! Auch diese, die nicht explizit von der Leichtigkeit sprachen, betonten stets, dass ein gutes Reit- oder Dressurpferd zugleich ein gutes Gebrauchspferd zu sein hat.
Man muss nur kurz überlegen, was im Zeitalter der Blankwaffen als gutes Gebrauchspferd gemeint sein könnte: Ein Pferd, das einer schweren Anlehnung bedürfte und nur durch unablässiges Treiben zu Leistungen gebracht werden könnte, war bei der damals üblichen, einhändigen Zügelführung nur bedingt lenkbar. Für einen Kavalleristen im Kampfgetümmel war das schlichtweg eine Gefährdung. Ich kann es mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass so ein Pferd von den damaligen Meistern als ein „gutes Gebrauchspferd“ bezeichnet wurde. Ein gutes Gebrauchspferd dieser Zeit MUSSTE – schon alleine aus Rücksicht auf die Belange des Militärs – leicht an den Hilfen sein, egal auf welcher Seite des Rheins.
Gustav Steinbrecht (1808 – 1885) war den Franzosen alles andere als wohl gesonnen. Trotzdem schreibt er in seinem „Gymnasium des Pferdes“, dass ein gut ausgebildetes Pferd keinerlei Kraftanstrengung von Seiten des Reiters bedürfen darf. Er geht teilweise sogar noch etwas weiter als die Franzosen und schreibt, dass das Pferd sich seine Hilfen ganz selbstständig an der Hand und am Sitz des Reiters holen sollte!
Gustav Steinbrecht (1808 – 1885)
Auch sein Bild zeugt deutlich von feiner und leichter Hilfengebung.
Paul Plinzner (1855 – 1920), Schüler Steinbrechts und Stallmeister des letzten Preußischen Kaisers ging in die Geschichte als ein relativ grausamer Reiter ein, der nach eigenen Angaben ein „gewisses Quälen des Pferdes“ als normalen Bestandteil der Ausbildung sah (mehr darüber unter Rollkur).
Paul Plinzner (1855 – 1920)
Aber sogar er sah die Leichtigkeit des Pferdes als das oberste Ziel (auch wenn der von ihm vorgeschlagene Weg alles andere als leicht war, zumindest für die Pferde):
„Wenn es in der Arbeit des “aktiven Beizäumens” (Plinzners Begriff für Rollkur, Anm. T.T.) (…) Perioden gibt, wo der Reiter keinen Tag ohne Blut an den Sporen vom Pferde steigt, so muss es doch dahin kommen, dass schon die leiseste Berührung des Sporns das Pferd elektrisiert und bei richtiger Mitwirkung der Hand zur sofortigen Annahme der verlangten Stellung, sowie zur energischen Arbeit in derselben veranlasst.“
Von Otto Lohrke gibt es sogar ein Foto im starken Trab mit den Zügeln am Pferdehals abgelegt. Das entspricht genau dem bereits von la Gueriniere erwähnten und von Baucher sehr ausgiebig praktizierten descente de main!
Egon von Neindorff (1923 – 2004) schreibt in seinem Buch „Die reine Lehre der Klassischen Reitkunst“ folgendes:
Treten Spannungen im verstärkten Tempo auf, sei es hartes Geworfenwerden im Sattel, sei es festes Genick oder totes Maul und dergleichen, so ging die Durchlässigkeit verloren. Zurück zur nächstniederen Gangart oder Einfangen des Tempos und erneutes Heranstellen an die Hilfen sind dann die ersten unerlässlichen Korrekturen.
Egon von Neindorff (1923 – 2004)
Ist also die Deutsche und die Französische Schule im Grunde gleich?
Bereits nach diesem kurzen Ausflug in die Geschichte der Reitkunst kommt man um den Schluss nicht herum, dass eine gewisse Leichtigkeit – egal ob wir sie als Légèreté bezeichnen wollen oder nicht – bei allen Reitmeistern zu finden ist, die eine kultivierte, auf klassischen Idealen orientierte Reitkunst praktizieren, unabhängig davon im welchen Land sie leben oder lebten.
Ist also die Deutsche und die Franzosische Schule identisch? Natürlich nicht. Denn die Wege, auf dem man die Légèreté zu erreichen versucht sind unterschiedlich, auch wenn, wie bereits erwähnt, zahlreiche Überschneidungen statt gefunden haben.
Die Französische Auffassung kann man diesbezüglich als etwas konsequenter sehen. Da man die Leichtigkeit stets als oberstes Ziel sieht, kultiviert man sie auch vom ersten Tag an. Das heißt in der Praxis, man versucht das Pferd vom ersten Tag an mit möglichst leichten und feinen Hilfen zu reiten.
Die Deutsche Schule legt dagegen in den frühen Ausbildungsstufen großen Wert auf eine deutliche – und damit auch etwas schwerere Anlehnung, die erst im Rahmen der weiteren Entwicklung bei fortschreitender Aufrichtung leichter werden soll. Das ist ein Weg, der zumindest auf den ersten Blick etwas verworrener erscheinen mag: zuerst reitet man das Pferd an die Hand heran und animiert zu einer kräftigeren Anlehnung, um es dann später in die Leichtigkeit zurück zu reiten.
In Wirklichkeit ist das Konzept gar nicht unlogisch. Denn die meisten Pferde brauchen in der Anfangszeit ein gewisses Maß an Anlehnung, um sich ausbalancieren zu können, erst mit fortschreitender Gymnastizierung können sie leicht werden.
Das sorgt für viele Missverständnisse rund um die Französische Reitkunst, denn nur wenige wissen, dass auch sie dieser Tatsache Rechnung getragen hat und den Begriff appui (Anlehnung) durchaus kennt. Interessanterweise empfehlen gerade die Baucheristen der Zweiten Manier beim Geländereiten ein gewisses Maß an Kontakt – appui – also eben eine leichte Anlehnung. Die vollkommene Leichtigkeit wird nur in der Bahnarbeit angestrebt. Dort wird allerdings konsequent daran gearbeitet, die Phase, wo das Pferd das appui noch braucht zu verkürzen um möglichst schnell zur Légèreté zu finden.
Neben vielen Vorteilen birgt das aber eine erhebliche Gefahr in sich: Reiter, die die Leichtigkeit am Schenkel vergessen haben und ihr Streben nur der Leichtigkeit in der Hand zuwenden, laufen Gefahr, Pferde auszubilden die hinter dem Zügel und ohne Rücken gehen.
Natürlich tragen Bücher wie das von de Kerbrech teilweise Schuld an diesem Umstand: Die ausgiebigen Ausführungen über die Leichtigkeit im Maul und die kurz gehaltenen Beschreibungen über die Rolle des Schenkels entsprechen genau dem sehr feurigen Pferdetypus, den die wohlhabenden Kavallerieoffiziere wie de Kerbrech und L’Hotte am liebsten geritten haben. Solche Pferde bringen enormen Vorwärtsdrang mit, der nicht schwer zu kultivieren ist, konfrontieren den Reiter aber zugleich mit einer Reihe von Maulschwierigkeiten, die man bei ruhigeren Pferden nie kennen lernen wird.
Beim Versuch solche Bücher wortwörtlich auf die heimischen Pferderassen, wie Warmbluter und Haflinger, zu übertragen, läuft man Gefahr, die Hand überbetont einzusetzen und die treibenden Hilfen zu vernachlässigen.
Sollte einem tatsächlich dieser Fehler unterlaufen und man hat sein Pferd hinter die Hand bekommen, erweist sich der Ausflug in die Deutsche Schule als sehr heilbringend: etwas deutlichere Anlehnung und etwas entschlosseneres Treiben hilft meistens die Dinge schnell in Ordnung zu bringen.
In dem Ausbildungsweg der Deutschen Schule wird dagegen die Anlehnung viel stärker betont, was eine an den deutschen Warmblut gut angepasste Vorgehensweise ist. In der Praxis aber verleitet sie einige Reiter zu dem gleichen Fehler wie die Französische Schule, nämlich, die Hand übermäßig anzuwenden. Die Anlehnung wird dann meistens zu stark angestrebt, auch dann, wenn das Pferd dem Reiter bereits die Möglichkeit zur leichteren Hilfengebung anbietet. Bereits Steinbrecht warnte nachdrücklich davon, ein Pferd „am Zügel“ mit einem „auf dem Zügel“ zu verwechseln.
Zu starke Handeinwirkung erstickt den Vorwärtsdrang und der Reiter muss den Verlust durch übermäßig stark treibende Hilfen ausgleichen. Die Pferde dulden es meistens stillschweigend und man erkennt den Fehler lediglich daran, dass sie konstant unterhalb von ihrem eigentlichen Niveau agieren.
In einem solchen Fall bietet wiederum die Zweite Manier Bauchers ausgezeichnete Hilfestellung: dort gibt es nämlich dem Grundsatz, dass, wenn die Handeinwirkung so stark war, dass der Vorwärtsdrang darunter leidet, soll man unverzüglich in der Hand leichter werden anstelle es zu versuchen, durch vermehrte treibende Einwirkung seinen Fehler zu kompensieren. Das nimmt dem Pferd sehr viel Druck weg, und hilft ihm, seine eigene Motivation und Freude an der Arbeit zu entwickeln.
Fazit
Schon allein dieser kurze Abriss zeigt dem Leser, wie vielfältig das Thema Légèreté eigentlich ist. Außerdem hat dieses Wort je nach Autor – und im Fall Bauchers sogar je nach Schaffensphase – eine etwas unterschiedliche Bedeutung. Die Reitmeister, die in der heutigen Zeit nach dem Prinzip der Légèreté arbeiten, haben ebenfalls ihre individuellen Ausprägungen. Manche von ihnen kann man dabei näher an der Ersten Manier von Baucher ansiedeln andere stehen näher an der Zweiten. (Ich hoffe dass mein Text dem Leser eine kleine Hilfestellung bietet, um sich diesbezüglich seine eigene Meinung zu bilden.)
So gesehen haben die Bemühungen, das Konzept der Légèreté im Ganzen anzupreisen oder zu verteufeln keinen Sinn. Um sachlich reden zu können muss man zumindest angeben, welche dieser zahlreichen und wechselhaften Bedeutungen man zu loben oder zu kritisieren versucht.
Außerdem ist die Bedeutung des Wortes Légèreté, wie wir es bei la Gueriniere oder in der Zweiten Manier Bauchers finden, mit der Auffassung der klassischen Reitmeistern der Deutschen Schule nahezu identisch. Eine Gegenüberstellung der beiden Schulen hat also nur dann einen Sinn, wenn man dabei tief genug geht, um Details aus der Ausbildungspraxis vergleichen zu können, denn die Hauptziele der beiden sind die gleichen. Wir finden zwar heftige Abweichungen zwischen der Französischen Schule und der heutigen Praxis der Rollkur. Die Rollkur darf man allerdings auch nicht mit der Deutschen Auffassung der Klassik gleichsetzen, denn die Deutschen Klassiker unterscheiden sich davon ebenfalls ganz erheblich.
Wenn es um die praktische Anwendung des Légèreté-Konzepts in der täglichen Arbeit mit Pferden geht, dann würde ich zweifelsohne die Auffassung aus der Zweiten Manier von Baucher wählen, als die praktikabelste und am meisten versprechende.
Sie ist sicherlich kein Allheilmittel und entbindet den Reiter nicht von sorgfältigen Arbeit, aber das kann man von nahezu jeder anderen Methode auch sagen. Man soll sicherlich über etwas Erfahrung verfügen, um die mögliche Klippen zu umschiffen, im Vergleich dazu bietet die Deutsche Schule einen Weg, der etwas einfacher zu befolgen ist.
Das größte Potential dieser Auffassung ist aber (in meinen Augen), dass sie einem die Möglichkeit der Aktivierung der Hinterhand und des Rückens gibt (und das sind ohne Zweifel die wichtigsten Fragen der Reiterei), ohne das Pferd übermäßig unter Druck zu setzen. Das wirkt sich sehr positiv auf die Psyche des Pferdes und auf seine Bereitschaft zur Mitarbeit aus, was gerade viele Freizeitreiter, die ZUSAMMEN mit ihren Pferden Spaß haben wollen, zu schätzen wissen werden.
Tomek Twardowski
Ein sehr schöner Text. Für die Praxis spannend und lohnenswert finde ich den impliziten Vorschlag je nach Situation – verlorenes Vorwärts vs. verlorene Leichtigkeit – zwischen der französischen und der deutschen Schule zu wechseln. Aber: Es hätte ggf. noch darauf eingegangen werden, das das Zentrum der französischen Légèreté das Aussetzen der Hilfen ist, wohingegen die deutsche Reiterei das Pferd in konstante Hilfen einrahmt (was übringens in einem gewissen Sinne Baucher in der 1. Manier ist). Das gilt gerade auch für die Impulsion, von der die Franzosen dort sprechen, wo wir Vorwärts sagen. Sie wird eben nicht durch konstantes Treiben erreicht, sondern nur durch den Schenkelimpuls.