Die Légèreté und die Impulsion.
Diese beiden Begriffe bilden das Fundament der Französischen Reitauffassung. Der Begriff Légèreté ist mittlerweile allgegenwärtig geworden. Die Impulsion dagegen geht ein wenig unter und fand bisher noch nicht ihre Beachtung, deswegen möchte ich meinen Lesern diesen Begriff näher bringen.
Impulsion bedeutet – vereinfacht gesagt – die Bereitschaft des Pferdes, auf die Aufforderung des Reiterbeins willig und energisch zu reagieren. Im weitesten Sinne kann man es mit dem Deutschen Begriff des Schenkelgehorsams vergleichen, obwohl es zwischen den beiden Begriffen Unterschiede gibt, auf die ich später eingehen möchte.
Die Impulsion wird fast immer im Zusammenhang mit der Légèreté erwähnt. Es ist vielleicht gut zu wissen, dass je nach dem, ob man über die Impulsion spricht oder nicht, wird das Wort „Légèreté“ mit zwei leicht unterschiedlichen Bedeutungen verwendet:
In den weniger ins Detail gehenden Texten bedeutet Légèreté die allgemeine Leichtigkeit des Pferdes, also die feine Reaktion auf die Hilfen: Unter Légèreté versteht man den sofortigen Gehorsam auf die leichteste Andeutung des Zügels und des Schenkels. (Alexis l’Hotte 1825 – 1904)
General Alexis l’Hotte
In den mehr detaillierten Texten wird das Wort „Légèreté“ für die Leichtheit im Maul alleine verwendet, während die Leichtheit am Bein eben als „Impulsion“ bezeichnet wird.
Wenn ich hier so tief auf die sprachlichen Haarspaltereien eingehe, dann weil ich es immer wieder beobachte, dass diese Mehrdeutigkeit bei einigen Menschen zu Verwirrung führt. Sie glauben dann z. B., dass das Konzept der Légèreté sich nur auf das Pferdemaul bezieht, was natürlich nicht stimmt.
Die Verwirrung wird um so kompletter, als dass in den letzten Jahren das Wort „Légèreté“ noch eine dritte Bedeutung bekommen hat: in den Presseartikeln wird es gerne gebraucht als Bezeichnung für die Reiterei von Philippe Karl und seinen Schülern, die gemeinsam unter dem Namen „Schule der Légèreté“ auftreten. Dementsprechend findet man in der Presse verwirrende Artikel, deren Autoren sich engagiert für oder gegen die Légèreté aussprechen, ohne zu definieren, für oder gegen welche dieser drei Bedeutungen sie sich äußern.
Zurück zu der traditionellen Bedeutung nach General l’Hotte: eine echte Légèreté, also die echte Leichtigkeit eines Reitpferdes existiert nur im Zusammenhang mit einer guten Impulsion.
Für Reiter, die eine leichte und feine Reiterei anstreben ist es sehr wichtig diesen Punkt zu beherzigen, denn jede Nichtbeachtung führt den Reiter geradewegs in Schwierigkeiten. Ein Reitpferd, dass zwar dem Gebiss nachgibt aber nicht auf ein leichtes Beinsignal willig vorwärts geht, hat nicht die angestrebte Légèreté erreicht sondern ist lediglich hinter der Hand / hinter dem Zügel. Das Hinter-der-Hand-sein ist ein potentiell gefährlicher Fehler, denn er beraubt den Reiter der Kontrolle über sein Pferd. Sobald dieses mal den Gehorsam verweigert, bringt es seinen Reiter in eine recht schwierige Lage, die man mit Fahren eines Autos ohne Lenkrad vergleichen kann.
Ich bin der Überzeugung, dass die übermäßige Betonung der Anlehnung, wie man sie heutzutage in der deutschen Reiterei oft findet, im Grunde in dem gut gemeinten Gedanken wurzelt, den unerfahrenen Reiter von den Gefahren des Hinter-der-Hand-seins zu schützen. Eine zu schwere Anlehnung macht das Pferd zwar etwas steifer und ein wenig träge, kann aber kaum so gefährlich werden, wie das Hinter-der-Hand-sein. Denn ein Pferd, dass die schwere Anlehnung verweigert macht es meistens sofort, der Reiter wird also auch sofort in Kenntnis gesetzt, dass etwas nicht stimmt. Ein Pferd hinter der Hand dagegen erweckt zunächst – zumindest beim unerfahrenen Reiter – einen angenehmen Eindruck, so dass der Reiter sich in falscher Sicherheit wiegen kann, die Leichtigkeit erreicht zu haben.
Interessanterweise ist die Impulsion das beste Mittel, um beide diese Fehler abzustellen: Pferde hinter der Hand bringt sie wieder an die Hand heran, bei zu schwerer Anlehnung hilft sie, diese leichter zu bekommen. Nicht umsonst gibt es den alten Reiterspruch, dass man die Fehler des Maules am besten mit dem Sporn zu korrigieren vermag.
Ähnlich wie die Légèreté muss auch die Impulsion im Laufe der Ausbildung entwickelt und kultiviert werden. (Für die Leser, die nachlesen möchten, wie man die grundlegende Bereitschaft des Pferdes auf den Schenkel zu reagieren entwickelt, zitiere ich hier einen Artikel von Erich Metterlein.)
Mögliche Probleme bei der Entwicklung von Impulsion
Auch wenn die Impulsion so hervorragende Vorteile für die Ausbildung des Pferdes bietet, muss sie jedoch kultiviert und behutsam entwickelt werden. Bei ungeschicktem Vorgehen kann sich eine Tücke einschleichen, vor der ich meine Leser warnen möchte:
Ähnlich, wie ein Pferd hinter der Hand sein kann, was man mit einer gesunden Légèreté nicht verwechseln soll (obwohl das Pferd vielleicht ähnlich leicht in der Hand ist), so kann auch ein Pferd vor dem Schenkel fliehen, was wiederum nichts mir gesunder Impulsion zu tun hat. Pferde, die den Kontakt zum Reiterbein nicht ertragen können und sobald man den Schenkel anlegt nervös werden und wegrennen, zeigen damit keine gute Impulsion, sondern einen Ausbildungsmangel. Gute Impulsion bedeutet zwar eine energische Reaktion des Pferdes aufs Bein, die aber zugleich ruhig, weich und dosierbar erfolgt. Man kann sie vergleichen mit dem gut eingestelltem Gaspedal eines Sportwagens, mit dem man – je nach Wunsch – ganz langsam oder aber ganz scharf anfahren kann. Dazu braucht es einen weichen Kontakts zwischen Reiterbein und Pferdeflanke. Nur unter dieser Voraussetzung kann bereits ein kaum merkbares Anspannen des Wadenmuskels vom Pferd als ein Signal verstanden werden.
Impulsion und die Psyche des Pferdes
Hier findet man den eigentlichen Unterschied zwischen Impulsion und Schenkelgehorsam. Impulsion beinhaltet den Schenkelgehorsam, aber auch noch mehr: eine innere Bereitschaft, innere Willigkeit des Pferdes, mit dem Menschen zusammen zu arbeiten. Damit ist sie als das höchste Gut in feiner Reiterei.
Etienne Beudant hat dazu folgenden Satz gesagt:
Impulsion, die aus dem Geist des Pferdes ausstrahlt, ist eine Qualität, die zwar mit menschlicher Brutalität immer wieder entfacht werden kann, aber, ähnlich wie der edle Eifer eines Soldaten, ohne Selbstrespekt nicht (dauerhaft, Anm T.T.) existieren kann.
Etienne Beudant 1863 – 1949
Nur ein Pferd mit einer intakten Psyche – nach Beudants Worten: mit Selbstrespekt – kann dem Reiter eine freiwillige Mitarbeit anbieten, die über das bloße Gehorsam hinausgeht. In den Zeiten, wo man darauf angewiesen war – im Krieg, beim Jagen, beim Überqueren reißender Flusse – wusste man solche Mitarbeit zu schätzen. Unser Überleben hängt aber nicht mehr vom Pferd ab und das Reiten ist zum Selbstzweck geworden. Eine an sich glückliche Entwicklung, die aber leider oft dazu führt, dass man die Wichtigkeit der aktiven Zusammenarbeit des Pferdes zu schnell aus den Augen verliert und sich mit dem mechanischen Gehorsam begnügt.
Gerade in der letzten Zeit etablieren manche Reiter neue Trainingsmethoden, die zwar spektakuläre Bewegungen bringen aber zugleich die Pferdepsyche komplett unterjochen und außer Kraft setzen (z. B. Rollkur bzw. das Low-Deep-Round). Solche Methoden machen die Persönlichkeit des Pferdes und seinen Selbstrespekt zunichte, können also niemals zu feiner Impulsion im Sinne Beudants führen, egal, wie gut diese Pferde auf den ersten Blick funktionieren.
Das Streben nach der echten Impulsion beinhaltet also zugleich auch die Suche nach Ausbildungsmethoden, die nicht nur dem Reiter sondern auch dem Pferd behagen. Das muss keineswegs bedeuten, das man das Pferd nur ununterbrochen streichelt. Der Reiter darf ruhig Forderungen stellen und auch energisch ihre Erfüllung verlangen. Es ist aber sehr wichtig, dass die gewählten Methoden und Mittel für das Pferd nachvollziehbar und akzeptabel sind. Alle Methoden, die auf Druck und Schmerz basieren passen nicht in diese Kategorie.
Dadurch wird es klar, dass es nicht egal sein kann, wie man die Impulsion zu erreichen versucht: Zwangsmaßnahmen sind hier fehl am Platze. Natürlich gab es in der Geschichte Reiter (und es gibt sie – leider – auch heute), die die Reaktion aufs Bein mit Gewalt zu erreichen versuchen, in dem sie das Pferd in Angst und Schrecken versetzen. So ausgebildete Pferde neigen allerdings zu dem soeben beschriebenem Fehler – sie rennen vor dem Schenkel weg, anstatt ihn vertrauensvoll anzunehmen.
Dazu muss man erwähnen, dass das Wegrennen nicht immer ein Beweis von menschlicher Grobheit sein muss. Manche feinfühligen Pferde neigen dazu, ohne dass je ein Reiter grob zu ihnen war. Dann ist es aber die Aufgabe des Ausbilders ihnen ausreichend das Vertrauen zum Reiterbein einzuflößen, so dass sie den Schenkel doch annehmen, bevor man weiter mit der Ausbildung fortschreitet. Erst dann hat man die Möglichkeit, das heiße, nervöse Pferd ausreichend zu beruhigen, so dass man die Ausbildung nach der Regel von General l’Hotte fortsetzen kann:
ruhig, vorwärts, gerade (calme, en avant, droit).
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