Gefahren der Dressur-Arbeit
Die Dressurarbeit, verstanden als medizinisch-sinnvolle Gymnastizierung des Pferdes ist die Grundlage für jede weitere Sparte der kultivierten Reiterei. Da sie viel Freude bereiten kann, kann man sie auch als Selbstzweck betreiben. Gerade dann birgt sie allerdings auch eine Gefahr in sich, die meines Erachtens kaum angesprochen wird.
Wenn man anderweitig mit Pferden arbeitet – bei Rinder-Treiben, auf dem Acker, beim Springen, im Wald – erlebt man immer wieder die magischen Momente, wo die Pferde aus eigener Initiative die bevorstehende Aufgabe erfassen und bewältigen. Meistens sogar noch viel geschickter, als wenn der Mensch sie dabei hätte leiten wurde. Wer das einmal erlebt hat, der weiß wovon ich spreche und weiß solche Augenblicke der intensiven Zusammengehörigkeit von Mensch und Pferd zu schätzen.
Und genau dieser Punkt geht beim Dressur-Reiten sehr oft verloren. Kein Wunder: auf den Dressur- oder Reining-Turnieren gilt die Eigeninitiative des Pferdes als Ungehorsam und bringt sogar Punktabzüge.
Aber auch ein Freizeitreiter, der nie Turniere reitet kann dabei leicht in Schwierigkeiten kommen. Denn die Pferde haben ein natürliche Tendenz, ihre Arbeit zu optimieren, sprich immer ökonomischer auszuführen. Das heißt wenn das Pferd gestern eine Übung mit bestimmten Aufwand ausgeführt hat, sucht es heute nach Wegen, sie mit weniger Energieverbrauch auszuführen. Ein junges Spring-Pferd, dass anfangs mit einem Metersatz über ein Cavaletto sprang wird mit zunehmender Routine versuchen, es ökonomischer, angemessener zu gestalten, also weniger zu überspringen. Ein gutes Geländepferd sucht sich immer den einfachsten Weg durch schwieriges Gelände – die Eigenschaft übrigens, die von seinem Reiter sehr geschätzt wird.
Aber gerade diese natürliche, unschuldige Tendenz des Pferdes sorgt beim Dressurreiten sehr oft für Zwist zwischen Reiter und Pferd. Für das Pferd ist es ganz normal, dass es heute die Piaffe oder die Galopp-Traversale etwas lockerer, also auch mit etwas weniger Spannung und Ausdruck ausführen möchte als gestern. Ich als Reiter wünsche mit aber genau das Gegenteil! Ich möchte eine üppige, verschwenderische Darstellung, ich will, dass der Ausdruck, die Höhe der Geste, das Feuer der Ausführung sich von Tag zu Tag steigert. (Das gleiche gilt auch für alle andere Lektionen.)
Und genau deswegen passiert es nur allzu oft, dass der Reiter und das Pferd sich in der Wolle haben. Ein Pferd strebt eine Ausführung mit kleinerem Energieaufwand an, der Reiter ist ständig dagegen, er korrigiert, antreibt, anfeuert. Das ständige dagegen-sein erzeugt in ihm das Gefühl, mit einem unverbesserlichen Faulenzer zu tun zu haben, was wiederum auf Dauer zu einer gewissen Miesepetrigkeit führt, die manchen Dressurreitern ins Gesicht geschrieben steht.
Das Pferd wiederum, dass ständig korrigiert und getriezt wird und niemals eigene Initiative entfalten darf resigniert dann schließlich, gibt alle Anstrengungen auf und macht nur so viel, wie es unbedingt muss. Es erübrigt sich zu sagen, dass das die schlimmsten Befürchtungen seines Reiters vollkommen bestätigt und ein trauriger Teufelskreis entsteht.
Es ist sicherlich nicht leicht, dieser unerwünschten Entwicklung entgegen zu wirken. Es ist schon bei sich selbst schwer, bei einem Reitschüler noch schwerer.
Um das zu erreichen, versuche ich für den Reiter Situationen zu kreieren, in denen er es erleben kann, wie sich das anfühlt, wenn das Pferd aus eigener Initiative Dinge vollbringt. Denn egal, wie gut der Reiter sein mag – ein Pferd, dass die Übung aus eigenem Antrieb ausführt macht es immer schöner und ausdruckvoller, als unter einem – wenn auch noch so fachmännischen – Zwang.
Es gibt aber nicht viel, was ich der tief verwurzelten Tendenz des Pferdes zum Ökonomisieren entgegen setzen kann. Es ist fast nur der eigene Spieltrieb des Pferdes, der es dazu bewegen kann, die Arbeit mal auch mit mehr Energie als nötig auszuführen. Denn im Spiel vergessen die Pferde ihre Zurückhaltung und verausgaben sich freiwillig. Die Hengste sind in der Beziehung vielleicht etwas dankbarer, denn ihr Selbstdarstellungstrieb – in anderen Sparten der Reiterei oft so störend – kommt dem Dressurreiter zugute. Hingegen alles, was das Pferd stresst: Übermüdung, schlecht sitzender Sattel, schlechter Boden, schlechte Hilfengebung des Reiters usw. verstärkt den Wunsch nach Energiesparen zusätzlich.
Wenn ich also ein Pferd haben möchte, dass die Dressurarbeit mit Elan verrichtet dann muss ich dafür sorgen dass ich es bei bester Laune halte. Nicht umsonst schrieb General Faverot de Kerbrech: »Für das Pferd wie für den Reiter soll der Unterricht zu einer Gesundheitsübung werden, zu einem lehrreichen Spiel, das niemals bis zur Ermüdung fortgesetzt wird.«
Es steht außer jeder Frage, dass ein Pferd auch über diese Grenze arbeiten kann. Dann ist es aber Arbeit und kein Spiel mehr und damit wird die Entfaltung der Eigeninitiative erneut erschwert.
Trotz allen diesen Vorsichtsmaßnamen lässt sich eine gewisse Ermattung des Pferdes nicht immer vermeiden. Dann hilft nur eins: die Arbeit möglichst Abwechslungsreich zu gestalten. Gerade für den Dressurreiter ist das ein breites Feld, denn alle sparten der Reiterei, in die er sich zur Abwechslung begeben kann, bieten dem Pferd mehr Möglichkeit zu Initiative-Entfaltung als die Dressur. Und so gehe ich, wenn die Zeit es mir erlaubt, mit den Pferden raus, in die Natur, wenn es geht auch länger, auf Wanderritte. Ich nehme bei befreundeten Western-Reitern an Trial-Trainings teil, arbeite mit Rindern und mit Garrocha, war sogar bei so manchen Umzügen dabei.
Dort ergeben sich immer wieder Momente, wo der Reiter auf die Hilfe und die Mitarbeit des Pferdes vollkommen angewiesen ist – sonst entwischt ihm die Kuh oder eine schwierige Geländepassage wird unüberwindbar. Das bricht die alte Rollenverteilung auf. Der Reiter ist nicht mehr der allwissende Herrscher und das Pferd nicht mehr nur stummer Befehls-Empfänger.
Das bescheret beiden diese magischen Augenblicke, wenn das Pferd und der Reiter, auf gleiches Ziel fokussiert, sich gegenseitig zur Hand gehen, als zwei gleichwertige Partner… Wenn man diese Qualität immer wieder erlebt ist man – sowohl Pferd als auch Mensch – viel stärker inspiriert, in der täglichen Dressurarbeit nach ihr zu suchen und sie dann auch zu finden. Und gerade sie gibt der Dressur den eigentlichen Flair…
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