Eine Brief von einer Freundin hat mich dazu gebracht, über ein Problem zu schreiben, mit dem feinfühlige Reiter immer wieder konfrontiert werden. Das Ergebnis möchte ich (mit ihrer Erlaubnis natürlich) mit Euch teilen:
Die Freundin schreibt folgendes:
Ich verstehe also jetzt viel klarer, dass,wenn ich mich auf sie setzte und bin selbst nicht im Gleichgewicht, so kann das schlecht zum Gleichgewicht des Pferdes oder dessen Leichtigkeit beitragen.Wenn ich darüber hinaus auch noch das Pferd in eine von ihm in dem Moment nicht gewählte Körperform zwinge, kann erst recht daraus für sie kein Gleichgewicht,geschweige denn Leichtigkeit folgen.
Ist es immer das, was Du versucht hast, mir nahe zu bringen?
Und hier meine Antwort:
Grob gesagt ja.
Es gibt nur eine kleine Falle.
Das Gewichtsverhältnis von Pferd zu Mensch beträgt zwischen 7:1 und 10:1. Es ist also sicherlich vom großen Vorteil, wenn Du im Gleichgewicht bist. Allerdings sind manche Pferde dermaßen nicht in Gleichgewicht, dass wenn Du ihm nicht aktiv helfen kannst, durch gekönnte Hilfenegebung, sein Gleichgewicht zu finden, dann wird er es von alleine NIE finden können. Egal, wie gut Du da oben sitzt – denn für ein Zehntel einer Masse ist es manchmal schlichtweg zu schwer, durch seine bloße Anwesenheit die neun Zehntel, die sehr weit aus dem Gleichgewicht geraten sind, positiv zu beeinflussen, da braucht es schon etwas mehr.
Ich erlebe es immer wieder, dass dieser Aspekt im Reitunterricht vernachlässigt wird. Stattdessen stellt man es so dar, dass wenn Du im Gleichgewicht bist ist das Pferd automatisch mit im Gleichgewicht und wenn nicht, dann hast Du was falsch gemacht. Ein Zehntel bekommt also eine unglaubliche Macht und kann durch seine bloße Anwesenheit die restlichen neun Zehntel beliebig stark beeinflussen.
Der Reitlehrer macht sich damit sein Leben leicht. Anstatt sich einzugestehen, dass er nicht in der Lage ist, dem Reiter und seinem Pferd effizient zu helfen, schiebt er die Verantwortung auf den Reitschüler ab, nach dem Motto: das Pferd ist nicht im Gleichgewicht also machst Du es falsch.
Ich erlebe immer wieder feine, engagierte Menschen die eben auf diese Weise ganz am Boden angelangt sind – sie haben sehr schwierige Pferde, die sehr qualifizierte Betreuung bräuchten, stattdessen kriegen sie aber nur gesagt, dass SIE es sind, die nicht im Gleichgewicht sind, oder falsch reiten oder was auch immer. Sie verrenken sich dann auf alle möglichen Arten, weil sie ihre Sache unbedingt gut machen möchten, was aber nichts bringt, weil neun Zehntel sind schon viel zu weit aus dem Gleichgewicht geraten. Am Ende werden sie nur frustriert und halten sich für Versager.
Zusammenfassend wurde ich sagen, dass ein Reiter im schlechten Gleichgewicht sowie das von Dir erwähnte Erzwingen von Haltung machen das Leben des Pferdes mit Sicherheit SEHR schwer und können die Fortschritte tatsächlich ersticken. Man darf aber daraus nicht den umgekehrten Schluss ziehen, dass wenn Du diese Elemente richtig machst dann MUSS alles automatisch gelingen.
Das passiert zwar immer wieder, vor allem bei jungen, gesunden Pferden, die keine ernsthafte Schwierigkeiten haben, dass dieses tatsächlich vollkommen ausreicht, um sie auszubilden. Aber bei anderen, besonders bei den sogenannten Problempferden braucht es meistens viel, viel mehr, um sie ins Gleichgewicht zu bringen: passender Sattel, gut gemachte Hufe, optimale Haltung, medizinische und seelische Versorgung und nicht zuletzt auch entsprechende Art der reiterlichen Hilfengebung, die mit den Problemen umgehen kann. Eine Hilfengebung, die manchmal von dem 08/15 Programm für gesunde Pferde sehr weit abweichen kann.
Aber auch dann, wenn alles stimmt, muss man wissen, dass Korrektur von solchen Pferden oft SEHR VIEL Zeit und Geduld braucht, und das Ergebnis ist immer noch ungewiss. Es passieren Misserfolge und Rückschritte, die gar nicht von Dir verschuldet worden sind, im Gegenteil. Eben weil Du Deine Sache richtig machst, offenbaren sich manchmal neue, noch tiefer liegende Wunden, die nach Heilung rufen, und manchmal meint man, das wird nie enden.
Ich wurde also sagen, dass es wichtige Verantwortungsbereiche gibt, die wir Menschen tragen und übernehmen sollen. Aber genau so gibt es auch Dinge, die außerhalb unserer Möglichkeiten – und damit auch außerhalb unserer Verantwortung – liegen.
Ich will niemanden dazu ermutigen, seine, ihm gehörige Verantwortung von sich zu weisen. Ich will lediglich warnen: Menschen, die versuchen Verantwortung zu übernehmen für Dinge, für die sie in Wahrheit nichts können, fügen ihrer Seele Wunden zu und lahmen ihre eigene Schaffenskraft.
Es sind gerade die feinfühlige Menschen, die sich oft und gerne Problempferde anlachen. Ich glaube, dass man diese Dinge wissen muss, damit man in der Lage ist, die Aufgabe zu einem positiven Ende zu bringen und dass man nicht daran zerbricht.
Und weil der Text so ernst war, dann zum Schluß noch ein lustiges Bildchen, dass ich sehr gerne mag:
