Das neuste über Rollkur, oder:
Hat man mich wieder für Dumm verkauft?
Es gibt die neuste Regelung der FEI zum Thema Rollkur.
Sie lautet in etwa so:
„Extreme Kopf-Genick Positionen sollen fortan etwa zehn Minuten geduldet werden. Allerdings dürfe dabei nicht Müdigkeit oder Stress beim Pferd entstehen.“
Ich bin natürlich sehr dankbar für die Erkenntnis, dass aggressives Reiten nur dann aggressiv ist, wenn ich es länger als 10 Minuten betreibe. Auf eine andere Sportart übertragen würde es zum Beispiel bedeuten, dass wenn ein Fußballer seinen Teamkameraden länger als 10 Minuten lang mit Fäusten bearbeitet, ist das ein klarer Fall von Aggression. Wenn er aber nach 5 Minuten aufhört, dann bleibt es im Rahmen dessen, was bei sportlichen Wettbewerben zu akzeptieren ist. Ich bin gespannt, wie schnell sich die anderen Sportverbände der Meinung der FEI anschließen.
Der zweite Satz, der an sich beschwichtigend klingen soll, ärgert mich aber noch viel mehr. Er zeigt nämlich ganz klar, dass wir, das normale Reitervolk, für komplette Deppen gehalten werden, die vom Reiten und Pferden ohnehin keine Ahnung haben.
Rollkur ist akzeptabel, wenn ohne Stress. Das ist ja gut gemeint. Aber: ziehen Sie Ihrem Pferd den Kopf auf die Brust bis die Zunge blau wird, rammen Sie ihm die Sporen in die Rippen und schauen Sie sich sein Gesicht an. Wer hier 10 Minuten braucht, um Stress zu erkennen, der wird ihn sicher auch nach 10 Tagen noch nicht erkennen können. Lassen wir also den Spaß bei Seite. Natürlich gibt es Pferde, die eine solche Behandlung so oft erleben mussten und so daran gewöhnt sind, dass sie es ohne mit dem Ohr zu zucken über sich ergehen lassen. Wollen wir aber deswegen die Reiter solcher Pferde auf das Olympische Treppchen stellen, als Vorbild für unsere Jugend?
Und was die Müdigkeit betrifft, da finde ich die Aussage noch viel schlimmer. Denn: Warum macht man die Rollkur überhaupt? Weil die Pferde dadurch besser die Hinterhand einsetzen? Ganz bestimmt nicht, das glauben nicht mal die Verfechter der Methode selbst!
Der eigentliche Vorteil und der wahre Grund, warum die Rollkur bei hohen Leistungsanforderungen so gerne angewendet wird, ist, dass man damit eben über die Erschöpfungsgrenze des Pferdes hinaus gehen kann. Ein erschöpftes Pferd, das mit normaler Einwirkung sich nicht mehr reiten lässt, kriegt man mittels Rollkur doch so gut in den Griff, dass man ihm trotzdem Leistungen abverlangen kann. Die Pferde sind – als Fluchttiere – durchaus in der Lage, in Extremsituationen Reserven zu mobilisieren, die an das Zehnfache des normalen Leistungsvermögens gehen. Diese Reserven anzuzapfen, bedeutet – bei den enormen Anforderungen der hohen Klassen – einen riesigen Vorteil gegenüber der Konkurrenz.
Man darf aber nicht vergessen, dass diese Reserven eben nur für Extremsituationen vorgesehen sind und die Strukturen des Körpers nicht für dauerhaftes Ertragen solcher Belastungen ausgelegt sind. (Wer sein Auto ständig mit Gaspedal bis zum Anschlag durchgedrückt fährt, wird dies auch bald verstanden haben.) Man kann einen Körper nicht ständig über die Gebühr strapazieren ohne seine Gesundheit zu schädigen. Mittlerweile ist das auch im Pferdesport bekannt, da viele (manche sagen sogar: alle) erfolgreichen Pferde nur mittels Medizin am Laufen gehalten werden können.
Aber auch hier fällt die Reaktion der FEI anders aus, als so mancher es sich vielleicht gewünscht hätte: anstelle strengeren Regelungen zum Schutz der Pferde will FEI mehr Medikamente auf Tournieren erlauben – darunter einige Schmerzmittel und Entzündungshemmer (siehe: „Progressive Liste“)!
Reiter, die auf Müdigkeit und Stress des Pferdes tatsächlich Rücksicht nehmen, so wie die neue Regelung der FEI es uns glauben lassen möchte, kommen nicht mal in Versuchung, die Rollkur anzuwenden. Wozu denn auch? Wenn die Grenze der Leistungsfähigkeit erreicht ist, dann machen sie eine Pause am hingegebenem Zügel, so wie es in jedem Buch steht.
Rollkur / low-deep-round ist dagegen die Technik schlechthin, sich über die Grenzen des Pferdes hinweg zu setzen – sowohl über die mentale, als auch über die körperliche. Eine sehr wirkungsvolle Technik, die bei konsequenter Anwendung große sportliche Vorteile mit sich bringt – aber leider auch komplette psychische Versklavung des Pferdes, vollkommene Respektlosigkeit gegenüber seiner Persönlichkeit und in letzter Konsequenz auch gesundheitliche Schäden. Für manche ein guter Grund sie trotzdem zu praktizieren, für viele andere ein Grund, um nach ihrem Verbot zu rufen. Jeder darf noch – Gott sei Dank! – für sich entscheiden, wo und auf welcher Seite er steht. Und trotzdem irgendwie schade, dass FEI da nicht klar Stellung bezieht. Ich hätte kein Problem damit, wenn sie sagen würde: die Pferde sind uns egal, wir wollen spektakuläre Shows, damit die Zuschauer die Eintrittskarten bezahlen. Dann wären zumindest die Fronten klar. Aber die Heuchelei von 10 Minuten Rollkur ohne Stress und Müdigkeit finde ich entsetzlich.
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