Die Rollkur in der Geschichte – ein kurzer Auszug
Ich hatte schon seit einiger Zeit vor, etwas über die so aktuelle Themen: „Rolkur“ und „low-deep-round“ zu schreiben. Doch dann habe ich gerade tolles Artikel darüber von meinem Nachbar, Herrn Erich Metterlein, erhalten. Erich beschreibt den aktuellen Stand der Dinge so gut, dass es wenig Sinn macht, es noch einmal zu tun. Stattdessen bat ich ihm also um Erlaubnis, sein Artikel auch bei mir ins Netz zu stellen.
Den Artikel von Erich Metterlein mit allen aktuellen Informationen zum Thema Rollkur findet Ihr hier.
Die Internetseite von Erich Metterlein findet Ihr hier
Ich möchte ein Paar ergänzende Worte – vor allem aus geschichtlicher Sicht – dazuschreiben.
Als den geistigen Vater der Rollkur können wir den Engländer William Cavendish (1592 – 1676) nennen, der in den Reiterkreisen unter dem Namen Herzog von Newcastle (Duke of Newcastle) bekannt ist. Newcastle verließ aufgrund von politischen Wirrungen England und ließ sich in Antwerpen nieder, wo er eine Reitakademie gründete und zwei Bücher über Reitkunst verfasste: Méthode et invention nouvelle de dresser les chevaux (dt. Die neue Art Pferde zuzureiten) (1658) und A New Method and Extraordinary Invention to Dress Horses and Work them according to Nature (1667).
Herzog von Newcastle
Er war sicher nicht der erste, der die Überzäumung des Pferdes praktiziert hat, er hat es aber ausführlich und methodisch beschrieben. Seine Bücher verschafften ihm übrigens große Popularität, ganz besonders in den deutschsprachigen Ländern.
So wie die heutigen Verfechter der Rollkur, so hielt auch Newcastle seine Methode für revolutionär. Der Haken an der Sache war, dass sie leider nicht funktionierte (was jeder denkende Reiter sich bereits denken könnte). Newcastle ließ sich aber davon nicht abschrecken. Da er den Problemen mit den klassichen Mitteln der Reitkunst nicht Herr werden könnte, erfand er das Ausbinden des Pferdes, also das Festbinden des Pfedeköpfes an den Sattel. Das half ihm, ein Pferd das er gegen die Logik gearbeitet hat und damit aus dem Gleichgewicht gebracht hat, letztes Endes doch noch unter die Kontrolle zu bekommen.
Seine bekannteste Erfindung ist zweifelsohne der Schlaufzügel, bis heute ein unverzichtbares Utensil bei den Anhängern der erzwungenen Beizäumung und/ oder der Rollkur. Man muss aber auch zu Gunsten Newcastles sagen, dass er sich bereits Gedanken gemacht hat, was seine Methode dem Pferdemaul antut und ließ den Schlaufzügel durch den Kappzaum laufen und nicht durch das Gebiss. (Manche behaupten sogar, dass der Kappzaum in der heutigen Form, also mit dem metallverstärkten Nasenband, ebenfalls von ihm zum ersten Mal beschrieben wird, auch wenn man bereits von Grisone und Pluvinel Pferde mit anderen Arten von Kappzaum kennt.)
Man kann sicher etwas drüber nachdenken, warum der Schlauzügel, der zum Bezwingen des Pferdes gedacht war, solche Karriere gemacht hat und heute im jeden Stall zu finden ist, der Kappzaum dagegen, der der Schonung des Pferdes dienen sollte, im deutschsprachigen Raum komplett in Vergessenheit geriet und erst seit wenigen Jahren schüchtern wieder auftaucht…
Obwohl Newcastles Bücher populär geworden sind, gab es – damals genauso wie heute – geniale Reitmeister, die auf seine Methoden keinen Pfifferling gaben.
La Gueriniere (1688 – 1751) kannte die Werke Newcastles und zollte ihm in seinem Buch höflich Respekt, als seinem Vorgänger, Buchautor und Reitkollege, erwähnt aber mit keinem einzigen Wort seine Methoden (bis auf eine Stelle, wo er das grob erzwungene Schulterein von Newcastle kritisiert).
Frnaçois Robichon de la Gueriniere
Er sagt auch ein ganz klares, deutliches Nein zu Hilfszügeln. Daraus kann man schließen, dass la Gueriniere genug von Pferden verstand, um sie ohne solche Hilfsmittel bis zu höchsten Leistungen auszubilden – was dem Newcastle ja nicht gelingen wollte.
Das Größe Aufleben der Rollkur in Deutschland und benachbarten Ländern verdanken wir aber dem Paul Plinzner (1855 – 1920) dem Stallmeister des letzten Preußischen Kaisers.
Paul Plinzner
Für den betagten Kaiser Pferde zu trainieren war sicher keine leichte Aufgabe und ich will seine Leistungen nicht schmälern. Es war Plinzner, der das „aktive Beizäumen“ einführte, also eine vom Reiter erzwungene Beizäumung. Damit setzte sich über das Gebot der feiner klassischen Reitkunst hinweg, ein Gebot, dass man die Pferde eben nicht mit der Hand beizäumen soll oder darf. Das war sicher eine gewisse Überwindung, denn Plinzner war ja ein Schüler von Gustav Steinbrecht (1808 – 1885).
Gustav Steinbrecht
Steinbrechts Werk „Gymnasium des Pferdes“ hat Plinzner nach dem Tod seines Meister zu Ende geschrieben und unter Meisters Namen veröffentlicht. In diesem Buch warnt Steinbrecht sehr oft vom Erzwingen der Beizäumung, man kann sich also denken, dass er auch Plinzner in diesem Geist unterrichtet hat. Kein Wunder, wenn man weißt, dass Steinbrecht das reiterliche Handwerk bei seinem Onkel Louis Seeger (1798 – 1865) lernte. Seeger hatte für erzwungene Beizäumung nichts übrig, wie man es seinem Bild entnehmen kann.
Louis Seeger
Man kann schwer beurteilen, was der Grund für Plinzners Meinungsänderung war: das Verlangen seines Arbeitgebers, des Kaisers, nach unbedingt fügsamen, absolut gehorsamen Pferden, oder Plinzners eigene Vorliebe für Newcastle…
Auf jeden Fall ging Plinzners „aktive Beizäumung“ weit hinter die Senkrechte, also in die Bereiche, die wir heute als low-dep-round bezeichnen wurden. Plinzner strebte eigentlich, so wie wir alle auch, ein Pferd, das fein auf die Hilfen reagiert. Ihm war es auch klar, dass eben diese zwei Dinge – Feinheit und Rollkur – sich gegenseitig widersprechen. Denn sobald man das „aktive Beizäumen“ praktiziert, muss man mit einer Gegenwehr des Pferdes rechnen. Plinzner sah die Gegenwehr „nur“ als eine Phase in der Ausbildung – aus seiner Sicht notwendige – die, nach dem das Pferd aufgegeben hat, durch Feinheit und Harmonie ersetzt wird.
Die Ausbildungsstufen bevor das Pferd aufgeggeben hat beschreibt er aber ganz unverhohlen als „gewisses Quälen des Pferdes“, und spricht vom „frischen Anfassen mit der Hand“ und von „Perioden, wo der Reiter keinen Tag ohne Blut an den Sporen vom Pferde steigt“. Das alles nahm er bereitwillig in Kauf.
Man kann also von einem Ausbildungsweg in Harmonie mit dem Pferd, von einem Weg, der an sich auch zum Ziel werden könnte, nicht reden. Im Gegenteil, Plinzner vertrat ganz klar das Motto: „das Ziel heiligt die Mittel“. In seinem Fall hat das auch funktioniert – es hat ihm doch den tollen Job im kaiserlichen Stall beschert. Es gibt auch heute genug Menschen die das so sehen und die es auf diese Art sogar aufs Olympische Treppchen geschafft haben.
Aber was soll ein Mensch tun, der so was nicht akzeptieren kann oder will? Einer, der lieber jetzt, sofort Freude mit seinem Pferd haben will, anstatt es zu quälen für einen (angeblich) guten Zweck? Ein Mensch, der das Olympische Gold mitsamt Newcastle und Plinzner lieber in die Tonne kicken wurde, als dass er sein Pferd nur ein einziges mal blutig sporniert?
Das Ziel meiner Arbeit ist auf jeden Fall, für eben solche Menschen Anregungen und akzeptable Arbeitmethoden zu präsentieren. Die anderen, na ja, die werden mit oder ohne uns ihre Sache weiter machen, außer bei der FEI kommt jemand zur Besinnung und so manche Praktik endlich verbietet.
Zum Schluss noch eine andere Überlegung: low-deep-round führt zweifelsohne zu sportlichen Ergebnissen, zumindest bei Menschen, die auf das „gewisse Quälen des Pferdes“ ihr geistiges Auge zudrucken können. Was macht das aber mit der Pferdegesundheit? In meinen Bücherempfehlungen findet Ihr Bücher von Dr. Heuschmann und Prof. Meyer, Autoren, die über die verheerende Wirkungen dieser Trainingsmethode geschrieben haben. Da der Olms Verlag 2006 das Plinzners Buch neu auferlegt hat (Paul Plinzner: „Ein Beitrag zur praktischen Pferde-Dressur: Aus meinem Leben. Reiterliche Rückblicke und Ausblicke / Wie ist die Beizäumung des Pferdes zu gewinnen und zu erhalten“), muss man sich natürlich fragen, ob das „aktive Beizäumen“ Plinzners vielleicht etwas pferdefreundlicher war als die heutige Rollkur? Vielleicht war es damals nicht ganz so übel und nach den Schlimmen Anfangsstufen der Ausbildung kamen dann bessere, harmonischere Zeiten? Muss man vielleicht nur Plinzner gelesen haben, um low-deep-round ohne gesundheitliche Schäden praktizieren zu können?
Dazu ein kleiner Beitrag von einem Zeitgenossen Plinzners, Freiherr von Reischach, seinem Nachfolger am Hof, der über die von Plinzner ausgebildeten Pferde schreibt (ein Beitrag, den ich dem anfangs erwähnten Text von Erich Metterlein entnommen habe):
„Wo sind die Pferde geblieben, die ich übernehmen musste, mit den zusammengezogenen Hälsen, deren Ohrenspitzen beinahe nach dem Erdboden zeigten, die nicht nach vorwärts traten, sondern sozusagen in die Erde hinein, mit dem hohlen Rücken und den steifen Hinterbeinen, mit den tellergroßen, haarlosen, durch die Sporen zerfleischten Stellen? Sie sind beinahe alle ausrangiert!“
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