Ich habe vor Kurzem folgende Aussage zu lesen bekommen:
Soweit ich weiß, wurde Baucher ja hauptsächlich deshalb so kritisiert weil seine Pferde keine Gehlust mehr zeigten und sich sein Zirkussystem nicht aufs Alltagsreiten übersetzen ließ.
Da diese Aussage von einer ausgesprochen kompetenten und überdurchschnittlich gut gebildeten Reiterin stammte, dachte ich mir dass dieses Vorurteil ganz schon verbreitet sein muss. Deswegen habe ich mich nicht nur beeilt ihm auszuräumen, sondern dachte ich auch, etwas darüber ins Netz zu stellen, denn vielleicht gibt es noch mehr Menschen, die das Interessiert.
Ist also Baucherismus alltags-tauglich?
Die Erste Manier
Nach meinem Wissen stimmt das mit der Gehlust insofern, als dass Bauchers Pferde zur Zeit der Ersten Manier phasenweise tatsächlich wenig Gehlust zeigten. Was nicht verwunderlich ist, wenn man den massiven Handeinsatz aus dieser Zeit bedenkt. Viele heutigen Reiter, die mit ähnlich massiven Handeinsatz reiten, haben mit dem gleichen Problem zu kämpfen und sind sehr erstaunt, wenn ihr bis dato „faules“ Pferd innerhalb von einer halben Stunde plötzlich ganz verwandelt wird, nur weil Frauchen/Herrchen gelernt hat, in der Hand feiner zu werden.
Später (Zweite Manier) war es dem aber nicht mehr so, im Gegenteil, Baucher gelang es ausgesprochen gute und saubere Grundgangarten zu produzieren. Was ja bekanntlich ohne gute Gehlust nicht funktioniert.
Und trotzdem: bereits zur Zeit der Ersten Manier haben Bauchers Experimente bei der Französischen Kavallerie gute Ergebnisse geliefert – zumindest im Vergleich mit dem, was die anderen Instruktoren vermochten. Interessanterweise aber funktionierte das nur so lange, so lange Baucher oder sein Sohn Henri die Aufsicht über den Reitunterricht hatten. Ohne ihre Anwesenheit ging das nicht, was nicht schwer zu erklären ist: die Erste Manier war noch lange kein gutes System, aber Baucher war schlichtweg ein Genie, der wahrscheinlich nach JEDEM System hätte Pferde gut ausbilden können.
Und die Zweite Manier?
Der Hauptgrund, warum sich auch die Zweite Manier nicht ohne weiteres auf den Alltag übertragen ließ lag – laut zeitgenössischem Bericht von l’Hotte – mehr an der Finesse, die nicht jedem Alltagsreiter zu eigen ist, als an dem System selbst. Was ich selber gerne bereit bin zu glauben, denn wie viele Leute kennt man schon, die außer Einerwechsel auf der Volte auch Galopp rückwärts beherrschen sowie nach Belieben zwischen einer schnellen und einer langsamen Piaffe wechseln können?
Dieser hohe Anspruch an den Reiter war übrigens auch (laut l’Hotte und anderen Zeitzeugen) der Hauptgrund, warum d’Aure das Rennen gemacht hat. D’Aure war der Hauptgegner Bauchers in Kampf um den großen Auftrag: ein neues Ausbildungskonzept für die Französische Kavallerie zu entwerfen – und hat gewonnen.
Auch wenn ich Baucher gerne die Ehre gönnen wurde und obwohl in der Entscheidungsfindung persönliche Abneigungen gegen ihm sicher eine Rolle spielten, war zu dieser Zeit d’Aure trotzdem wahrscheinlich die bessere Wahl: Obwohl D’Aure sein Können an der königlichen Schule in Versailles gelernt hat und dadurch mit den Finessen der höchsten Reitkunst bestens vertraut war, hat er sich davon gelöst und ein neues, an das Englische Vollblut angepasstes System entwickelt. Dieses Ausbildungssystem war einfach und für JEDERMANN nachvollziehbar, somit für die Kavallerie zweckmäßiger. Es unterschied sich übrigens nicht allzu sehr von einem anderen, bekannten und weit verbreiteten Reitsystem: kräftige Beine treiben das Pferd gegen die kräftig aushaltende Arme und wer bremst hat verloren. Fertig ist das Reitpferd…
Antoine-Henri-Philippe-Leon Vicomte d’Aure bei einem Jagdasuflug.
Wirklich interessant finde ich den gesturzten Reiter im Hintergrund, der dem Vicomte offensichtlich keine große Sorgen bereitet – gewisse Opfer gehörten zu seinem System dazu. Da war Baucher ganz anders, er hat sich bemüht wirklich JEDEM Individuum zu einer Weiterentwicklung zu verhelfen. Sein System der perfekten Beherrschung der Pferdekräfte sollte zum Teil auch dafür die Sorge tragen, dass dem Reiter solches nicht so schnell passiert…
War also Bauchers System doch untauglich?
Die wenigen, die es vermochten, wandten natürlich Bauchers System auch auf die Gebrauchspferde an. Sie erkannten aber auch das oben beschriebene Problem und suchten nach Auswegen. Irgendwann entwickelten sie eine etwas einfachere Variante, die für Jagd- und Gebrauchspferde bestimmt war. (Bei Cadmos kommt bald ein neues Buch, in dem man die diesbezüglichen Schriften von de Kerbrech, La Garonne und Rul nachlesen kann.)
Diese Variante hat eine Riesenkarriere gemacht, die den bis dahin verstorbenen Baucher sicher für alle Niederlagen seines Lebens königlich entschädigt hätte. Wovon so gut wie niemand mehr heute etwas weiß: Sie ist von der US-Cavalry als die offizielle Reitvorschrift übernommen worden. Das geschah nicht einfach so, sondern nach einer sehr langwierigen Abwägung gegen alle anderen Europäischen Systeme. So viel zu Alltagstauglichkeit.
Nach der Auflösung der Kavallerie in den USA haben die Instrukteure die Zivilisten unterrichtet und damit die Baucheristischen Ideen in ganz Amerika verbreitet. Auch wenn die heutigen Westernreiter ihre Wurzeln lieber bei den Spanischen Vaqueros suchen: wenn man die Baucheristische Gebrauchsvariante kennt, findet man ihre Spuren nicht nur in der Arbeit von vielen Westerntrainer, sondern interessanterweise auch bei Pionieren des Horemanships, wie Tom Dorrance (Lehrer von Ray Hunt).
Tom Dorrance
Einer der Toms Brüder (Fred, so weit ich es mich erinnern kann) kam in Kontakt mit den Lehren von Fort Riley (der letzten Kavallerieschüle Amerikas) und hat das gelernte der Familie zur Verfügung gestellt. Ob auch Tom das Wissen seines Brüders integriert hat kann man sicher streiten. Mehr als Spaß habe ich hier die wichtigsten Prinzipien des Dorrance-Horsemanships (True Unity) (von Milly Hunt Porter zusammen getragen und frei von mir übersetzt) den ursprünglichen Aussagen Bauchers gegenüber gestellt:
- Das Pferd muss lernen von alleine zu arbeiten (Baucher: „Gib ihm das Gefühl er ist sein eigener Meister“)
- Das Pferd muss lernen für jede Bewegung die entsprechende Haltung anzunehmen (Baucher: „Position vor Bewegung“)
- Arbeite anfangs sehr langsam, dann gehst Du schneller voran (Baucher sagt das gleiche an sehr vielen Stellen, bedenke auch sein Prinzip des Decomposers.)
- Das Pferd muss total locker sein um sich frei zu bewegen (Baucher: „Verspannungen und Steifheit als Ursachen aller reiterlichen Probleme“)
- Wenn das Pferd die Bewegung ohne die richtige Balance angefangen hat, macht es keinen Sinn fortzufahren. (Baucher: „Wenn Lègéretè verloren geht hat alles andere keinen Wert!“)
- Alle Probleme, die sich im Schritt und Schritt-Übergängen zeigen, werden in allen drei Gangarten sichtbar sein. (Baucher: „Schritt ist die Mutter aller Gangarten!“)
Ob das alles nur ein Zufall ist?…
In diesem Sinne! 🙂
Tomek
Schade, dass auch Ihnen unter der Rubrik „Über die französische Schule“ an erster Stelle nur Baucher einfällt. Ein Zeichen unserer Zeit, bei dem sich eine immer größere Masse leider allzu gern geneigt ist sich von „neuen“ und vor allem „schnelleren“ Methoden ansprechen zu lassen. Würden Sie unter dieser Rubrik auf Meister wie de la Broue oder de la Guérinière beschreibend eingehen, würden Sie dem geneigten Leser vielleicht helfen Baucher realistischer einzuordnen, denn Vieles was was diesem „Erneuerer“ heute auf die Fahnen geschrieben wird, war längst bekannt. Daran ändern auch nichts die vermehrt auftretenden Autoren-Experten mit ihren literarischen Ergüssen. Sie haben offensichtlich auch l’Hotte gelesen, jener große Reiter, welcher immer wieder gerne als größter Schüler und Befürworter Bauchers herangezogen wird. In seinen Werken können Sie aber auch Distanzierung von Baucher feststellen. Bacher war einer jener Kunstreiter, der sich vehement gegen das große Erbe der Versailler Schule gestellt hat, alles bisher Dagewesene verpönte und sich als großer Erneuerer dargestellt hat. Dabei war er besonders in seiner ersten Phase von Ehrgeiz geprägt. Ich kenne keinen wirklichen Baucher-Experten, der sich mit der relativ brutalen 1. Phase seines Wirkens wirklich anfreunden kann. Merkwürdigerweise wird gerade diese von Befürwortern oftmals als Beleg seiner Genialität herangeführt, etwa wenn über das Pferd Géricault berichtet wird. Wohl auch deshalb weil Baucher kein Pferd der folgenden 2. Phase jemals öffentlich vorstellte. Neben einigen genialen Geistesblitzen besitzt die Lehre Bachers viele Konzeptionsfehler, die letztens seine Lehre zum Scheitern verurteilt. L’Hotte, Faverot, und sogar Baucher’s eigener Sohn erkannten dies und wendeten sich so von der strikten Umsetzung ab. Es sind eher Reitmeister wie Oliveira und L’Hotte die erwähnt und erörtert werden sollten, denn Sie ermöglichten erst den Ausgang aus der Sackgasse Baucher’s Lehre.
Es ist mir ein Anliegen darauf hinzuweisen, denn zunehmend sieht man den in Mode gekommenen Baucherismus und experimentierende Reiter, die am Ende doch scheitern müssen. Bis zum heutigen Zeitpunkt ist mir weder ein lebender noch ein verstorbener Reiter bekannt, der Baucher’s Lehren in Ihrer Gesamtheit erfolgreich praktizieren konnte oder kann.
Und gerade Ausbilder sollten Ihren Schülern dies in aller Deutlichkeit vermitteln.
Sehr geehrter Herr Mott!
Danke für Ihr ausgiebiges Kommentar.
Wie Sie es selber schon angedeutet hatten (und wie Sie es auch in meinen Texten beschrieben finden können), stehen die 1. und die 2. Manier Baucher’s in den meisten Fragen im kompletten Widerspruch zu einander. Von dem her ist es nur nachvollziehbar, dass Sie keinen Reiter kennen, der Bauchers Lehren in Ihrer GESAMTHEIT praktiziert. Dieses ist aufgrund des o.g. Widerspruches schlichtweg unmöglich, genauso wie man einen Eiswürfel nicht zum Kochen bringen kann. Sobald er kocht ist er kein Eiswürfel mehr und umgekehrt – und genauso verhielt sich die Relation zwischen der 1. und der 2. Manier.
Meinen Beiträgen können Sie weiterhin entnehmen, dass ich persönlich nur die 2. Manier für nachahmenswert halte. Dass das beste System in Händen eines Stümpers oft das Gegenteil bewirkt von dem was beabsichtigt war, ist allgemein bekannt, das hat aber über ein System nur wenig zu sagen. Interessanter ist deswegen für mich die Frage, was gute Reiter mit Hilfe eines solchen Systems erreichen könnten und da bat die 2. Manier einige ganz herausragende Namen, die Beachtliches damit hervorgebracht haben, auf jeden Fall genug, um den Wert des Systems als bewiesen zu betrachten. (Die berühmtesten von diesen Reitern: l’Hotte, de Kerbrech und Beudant inklusive der Titel ihrer Werke habe ich auch auf meiner Internetseite erwähnt.)
Ihr Hinweis auf de la Broue und de la Gueriniere ist sicherlich richtig, der Grund, warum ich diesen Meistern in meinen Texten so wenig Beachtung schenke ist keine Geringschätzung, sondern lediglich meine praxisorientierte Einstellung zur Reiterei:
Bei der Lektüre dieser herausragenden Meister wird der Leser bald feststellen müssen, dass ihre Werke für die heute dominierende Ausbildungsziele sowie Pferdetypen nur wenig umsetzbare Informationen enthalten und daher den Liebhabern einer ganz bestimmten Auffassung von Reitkunst und bestimmten Pferderassen vorbehalten bleiben. Außerdem (und das war für mich persönlich ausschlaggebend) enthalten diese Werke Elemente einer aus der Sicht der damaligen Zeit zwar verständlichen, aber für mich doch keineswegs empfehlenswerter Versachlichung des Pferdes sowie teilweise auch schlichter Brutalität, teilweise noch viel schlimmer, als alles was Sie der 1. Manier von Baucher vorwerfen.
Nach meinem jetzigen Kenntnisstand ist deswegen die 2. Manier das ERSTE KOMPLETTE UND VOLLENDETE Ausbildungssystem in der Geschichte, das durchgängig den humanistischen Idealen entspricht, die auch ich in meiner Arbeit mit Pferden im 21. Jahrhundert vertrete: den Idealen einer fundierter, gehobener Reitweise, die – zumindest in geschickten Händen – sich nicht nur im Einklang mit dem Pferdekörper und seiner Gesundheit befindet, sondern (und das halte ich für zumindest genauso wichtig, wenn nicht sogar noch wichtiger) sich im Einklang mit dessen Psyche ausüben lässt.
Zum Abschluss erlauben Sie mir noch die kleine Anmerkung: das Pferd, das am meisten im Verbindung mit Baucher Erfolgen und seiner 1. Manier erwähnt wird ist der Partisan (gefolgt vielleicht von Kleber, Capitaine und Neptune), und nicht der Gericault. Dieser war lediglich eine sehr kurze (wenn auch ruhmreiche) Episode im Baucher’s Leben.
Hochachtungsvoll
T. Twardowski
Ich widerspreche Ihnen deutlich, dass die 1. und 2. Manière in den meisten Fragen in kompletten Widerspruch zueinander steht. Die Grundphilosophie blieb die Gleiche, lediglich die Mittel haben sich geändert, indem der Reiter weniger Gebrauch von seinen eigenen Kräften machen sollte. Ab der 12. Auflage seiner „Methode der Reitkunst“ können Sie das studieren. Nichtsdestotrotz blieb seine Reitlehre Widersprüchlich. Verstärkt wird diese Erkenntnis noch dadurch, wenn man weis, dass Bauchers Unterricht von seinen geschriebenen Grundsätzen abwich, wie z.B. im Fall des Schulterherein. Eine der großen Fallen der Baucheristen ist meiner Ansicht nach die Aufrichtung des Halses mit der Hand und führte bei allen mir bekannten Baucheristen, also Reitern die ausschließlich nach Baucher arbeiteten, in eine Sackgasse. Auch der nicht allzu lang verstorbene Racinet, ist den Beweis für schuldig geblieben. Der von Ihnen gennannte L’Hotte wird immer wieder gerne als Vorzeigeschüler Bauchers genannt. Gemessen an seinem Reiterleben hatte er jedoch nur kurze Zeit Unterricht bei Baucher. Er hat sich auch mehrfach kritisch gegenüber diesen Lehren geäußert. Stark geprägt war er eben auch von der alten Versailler Schule nicht nur durch D’Aure, den Sie für meinen Geschmack in Ihrem Artikel leider versuchen zu diskreditieren. Auch der sehr feinfühlige Kerbrech war weit weniger dogmatisch in seinen Ansichten und auch er verstand es auf gleiche Weise wie L’Hotte die Versailler mit den einzelnen Vorzügen Baucher’s sinnvoll zu verknüpfen. Bei Beudants bekannten Bildern können Sie gut die negativen Auswirkungen des Baucherismus bezüglich Hanken- und Rückenarbeit studieren. Nicht mal ein P. Karl hat diese Bilder in seinem Werk „Irrwege der Dressur“ verwendet, sondern lieber auf geschönte Zeichnungen zurückgegriffen. Es bleibt mir ein Rätzel wie sie die 2. Manier als „das ERSTE KOMPLETTE UND VOLLENDETE Ausbildungssystem in der Geschichte“ sehen können!? Ich beschäftige mich seit über 20 Jahren mit verschiedensten Ausprägungen der Baucheristischen Lehren, vielleicht besitzen Sie ja das Genie, das Oliveira, Bacharach, Racinet, Henriquet und viele andere scheinbar nicht besaßen oder besitzen 😉
Stephan Mott
Sehr geehrter Herr Mott!
Ich kann aus Ihren Beiträgen nicht herausfinden, was Ihr Anliegen ist: ob Sie nach praktischen Wegen suchen, um Pferde gesund und im Einklang mit der Pferdepsyche auszubilden oder ob Sie lediglich der Welt beweisen wollen, dass Bauchers Gedankengut schlecht war?
Im zweiten Fall kann ich Ihnen natürlich weder weiter helfen noch zustimmen, denn meine eigene Erfahrung beweist jeden Tag aufs Neue etwas anderes und da ich diese Meinung mit einer Reihe von ganz illustren reiterlichen Vorbildern teile, halte ich es auch für etwas mehr als eine reine Selbsttäuschung.
Sollte dagegen das Erste auf Sie zutreffen, sprich: Sie sind ebenfalls ein Reiter auf der Suche, erlaube ich mir Ihnen ein hier paar Denkanstoße zu geben. Ich hoffen Sie finden das nicht anmaßend aber mein Abenteuer mit dem Baucherismus hat schon vor ein paar Jahren die 30-Jahre-Marke überschritten, vielleicht bin ich in den mehr als 10 Jahren, die ich Ihnen voraus bin auf Antworten gestoßen, die auch für Sie interessant sein könnten:
1.
Ich widerspreche Ihnen deutlich, dass … . Ab der 12. Auflage seiner „Methode der Reitkunst“ können Sie das studieren.
Wie bereits geschrieben, sind für mich (bei allem Respekt für Ihre Meinung) die Widersprüche zwischen der 1. und der 2. Manier klar und deutlich, auch wenn bestimmte Grundideen (wie zum Beispiel das Streben nach Leichtigkeit), als eine Art Leitmotiv die beiden miteinander verbinden.
Es ist allerdings ein Denkfehler, sich die Meinung über die 2. Manier anhand der 12. bzw. 13. Ausgabe Baucher’s bilden zu wollen. Baucher den hat den Hauptteil seines (aus der Zeit der 1. Manier stammenden!) Buches niemals umgeschrieben, sondern lediglich um ein paar Beigaben ergänzt. Das Ergebnis (die 12. und die 13. Ausgabe) ist ein wahrer Kauderwelsch, voll von Gegensätze und Widersprüche, so dass es nach meiner Überzeugung schlichtweg unmöglich ist, damit praktisch zu arbeiten und ein Versuch muss tatsächlich mit nichts anderem als Verwirrung enden. Um die 2. Manier zu studieren ist der Griff zu de Kerbrech (und ev. auch l’Hotte) unumgänglich. Dieser Umstand ist übrigens nicht nur von mir, sondern von einigen namhafteren Autoren bereits mehrmals beschrieben worden und entsprechende Literaturhinweise diesbezüglich finden Sie überall.
2.
Verstärkt wird diese Erkenntnis noch dadurch, wenn man weis, dass Bauchers Unterricht von seinen geschriebenen Grundsätzen abwich, wie z.B. im Fall des Schulterherein.
Bei einigen immer noch lebenden Lehrern habe ich das Gleiche erlebt, das ist also keine Besonderheit von Baucher. Ich führe es vielmehr auf die Tatsache zurück, dass ein kreativer Mensch nach der Drucklegung des Buches sich weiter entwickelt und eigene Gedanken revidiert, empfinde es also eher als Qualitätsmerkmal und nicht als Fehler.
3.
Der von Ihnen gennannte L’Hotte wird immer wieder gerne als Vorzeigeschüler Bauchers genannt. Gemessen an seinem Reiterleben hatte er jedoch nur kurze Zeit Unterricht bei Baucher
l’Hotte nahm Unterricht bei Baucher fast von seinen ersten Tag in Paris an und blieb ihm freundschaftlich verbunden bis zu Baucher’s Tod. Er war auch derjenige, der am Bett vom sterbenden Baucher stand und in seinen Schriften erwähnt er oft seine tiefe Verbundenheit und sein Respekt für den verblichenen Meister. Auch wenn er auch d’Aure in hohen Ansehen hielt und (wie man es von einem Kavallerie-Offizier der damaligen Zeit eigentlich erwarten musste) auch bei vielen anderen Lehrern Unterricht genommen hat.
4.
Bei Beudants bekannten Bildern können Sie gut die negativen Auswirkungen des Baucherismus bezüglich Hanken- und Rückenarbeit studieren.
Das schlechte Aussehen der Pferde auf den Bildern von Beudant kann ich mir auch nicht wirklich erklären und auch ich habe vor Jahren sein Buch zuerst angewidert auf Seite gelegt. Erst nachdem ich erfuhr, dass diese Pferde zugleich durch herausragende Leistungsmerkmale glänzten, kam mein Interesse wieder. Einige von seinen Pferden (gerade eben die auf den besagten Fotos!!!!) waren nicht nur den Pferden von seinen Kameraden beim Dienst im schwierigen Gelände sehr überlegen, sie gewannen auch zahlreiche Hindernisrennen – die härteste Gesundheitsbelastung, die man im Pferdesport kennt. Beweis genug, dass ihre Hanken und Rücken sich sehr guten Gesundheit erfreuen mussten, egal wie sie auf den Fotos aussehen. Wann man noch dazu weiß, dass bevor sie zu Beudant kamen, waren es entweder nur mittelmässige oder teilweise richtig kranke und kaputte Tiere, die sich dann dank Beudant’schen Reitweise später gegen die Konkurrenz aus besten Tieren des Landes behaupten könnten, fängt man an seine Arbeit mit etwas anderen Augen zu sehen.
5.
Eine der großen Fallen der Baucheristen ist meiner Ansicht nach die Aufrichtung des Halses mit der Hand und führte bei allen mir bekannten Baucheristen, also Reitern die ausschließlich nach Baucher arbeiteten, in eine Sackgasse.
In diesem Punkt gebe ich Ihnen vollkomen Recht, auch wenn man diese Behauptung niemals auf alle Baucheristen verallgemeinernn darf.
Wir leben eben in einer Zeit, in der auch die gefeierten Reitprofis nur zu oft vergessen, dass das andere Ende des Zügels auf die ausgesprochen sensiblen Körperteile des Pferdes einwirkt: aufs Maul, Kopf und Hals. Es ist aber ein schlichter und unumstößlicher Fakt, dass jede grobe Einwirkung der Hände, besonders wenn dauerhaft angewandt, zwangsläufig negative Folgen für das gesamte Pferd und seine Leistungen mit sich bringt. Dabei ist es egal, ob es sich um eine nach unten gerichtete Einwirkung handelt (Rollkur), nach hinten (erzwungenes Beizäumen) oder eben die nach oben, die Sie hier erwähnt haben.
Und gerade hier finden wir wieder die Genialität Bauchers, der die Bedeutung dieses Umstands sowie der Leichtigkeit in der Hand-Maul-Verbindung im Laufe seines Lebens immer klarer und immer präziser erkannt und beschrieben hat, bis er (aus eigenen Fehlern lernend) ganz eindeutig die Leichtigkeit an die allererste Stelle im sienen System gestellt hat (ich zitiere frei: „Hast du die Leichtigkeit, dann hast du alles, geht diese verloren dann ist alles verloren“). Reiter, die gegen diesen einfachen Grundsatz verstoßen und die Leichtigkeit zugunsten einer zwanghaften Handeinwirkung opfern (egal, ob diese nach oben, nach unten oder nach hinten gerichtet ist) befinden sie sich auf dem gleichen Weg, den auch Baucher mit seiner 1. Manier beschritten hat, und sind dazu verdonnert, die gleichen Folgen zu erleiden. Folgen, die Baucher dazu bewogen haben die 1. Manier zu verwerfen und durch die 2. zu ersetzen, die aber einen weniger genialen Reiter nur zu oft in eine Sackgasse ohne Ausweg führen. Ihrer Beschreibung glaube ich zu entnehmen, dass Sie eben Reiter, die eben in diese Falle geraten sind meinen und ihr Schicksal irrtümlich auf alle Baucheristen verallgemeinern.
Aber auch diese Zusammenhänge waren bereits den wichtigsten Autoren der 2. Manier bekannt. In den Werken von l’Hotte, de Kerbrech und Beudant finden Sie zahlreiche Warnungen (wenn auch höflich, diskret und teilweise zwischen den Zeilen angebracht), die dem Leser solche Pannen ersparen sollten. Man muss sie nur lesen und umsetzten wollen!
Und wenn man diese Hinweise nicht nur auf dem Papier sondern auch im täglichen Tun beherzigt, öffnet einem die 2. Manier sehr vielfältige Möglichkeiten einer ausgesprochen feiner Kommunikation mit dem Pferd, die man nicht so schnell in einem anderen System findet.
In der Hoffnung, Ihnen die 2. Manier etwas näher gebracht zu haben verbleibe ich
Hochachtungsvoll
T. Twardowski
Mein Wunsch (auch auf die Gefahr, dass ich mich wiederhole): Dass Sie den Lesern nicht primär den Eindruck vermitteln, Baucher sei uneingeschränktes Genie und Pseudonym für Französische Reiterei und damit uneingeschränkt nachahmenswert. (Ihr Blog rangiert relativ weit oben bei google und co) Baucher hat sich vielen Erkenntnissen früherer Meister bedient und dennoch deren Existenz verleugnet. Auch wenn Ihnen ein de la Broue zu brutal erscheint, stammen von ihm Sätze wie „Die Leichtigkeit im Maul geht der Leichtigkeit des ganzen Pferdes voraus“. Solche Erkenntnisse waren in der Zeit seines Wirkens ein wirkliches Novum. Baucher versucht hingegen dies als eigene Erkenntnis zu vermitteln, um so als Erneuerer wahrgenommen zu werden, der Pferd und Reiter schneller ausbilden kann als alle vor ihm. Ergebnis seines Ehrgeizes ist eine Reitlehre die für sich genommen in die Irre führt, verschlimmert dadurch dass er offensichtlich ein schlechter Autor war. In der ersten Manier hat Baucher dies selbst erkannt (oder erkennen müssen) und aus der zweiten Manier ist kein Pferd bekannt, dass danach je gezeigt worden wäre, noch hat es ein Reiter geschafft die Richtigkeit zu demonstrieren. Reitern wie z.B. Kerbrech ,L’Hotte oder Oliveira ist es durch Ihre Abwandlungen und Ergänzungen zu verdanken dass die wahrlich vorhandenen Geistesblitze Bauchers zu etwas Brauchbaren zusammengeführt wurden. Auch mir war schon bekannt, dass Kerbrech wichtig ist, um Bauchers Versuchen näher zu kommen 😉 Nur hat dieser Bauchers Lehre nicht 1:1 angewendet. Also Ehre wem Ehre gebührt. Eine Lobpreisung z.B. Kerbrechs oder L’Hottes als wahres Genie erscheint mir doch angebrachter und würde vielleicht dazu beitragen die fast schon inflationär auftretende Welle an Baucher-Literatur und selbst ernannten Experten einzudämmen und einige andere wichtige französische Reitmeister wieder ins Rampenlicht zu rücken. Vielleicht finden dann Verlage Geschmack daran diese endlich zu übersetzen.
Ich denke ich habe meine Standpunkte deutlich genug gemacht und ich müsste mich nur wiederholen. Offensichtlich sind wir in manchen Punkten zu anderer Erkenntnis gelangt,tiefere Diskussionen können wir gerne auf privater Ebene weiter führen. Zu folgenden will ich jedoch noch kurz Stellung nehmen:
Zu 2) Der gravierende Unterschied liegt vermutlich darin, dass die Ihnen bekannten Lehrer aus der Abänderung kein Geheimnis machten oder machen. Baucher aber sehr wohl, war doch z.B. das Schulterherein von dem vehement verleugneten Guérinière bzw. Newcastle. Eine offizielle Aufnahme in seine Reitlehre war für ihn undenkbar und er nahm eine Verwirrung so in Kauf. Erst Schüler und seine Sohn Henri änderten dies.
Zu 3)L’Hotte war bis zu dem Tode mit Baucher freundschaftlich verbunden. Die Zeit des aktiven Unterrichts war trotzdem nur kurz in seiner Zeit als Leutnant. In Lyon nahm er erstmals Unterricht Oktober bis Dezember 1849. Trotzdem tauschten Sie sich aber Ihr Leben lang intensiv aus. Dies könnte übrigens auch als Indiz gewertet werden, dass Baucher gewisses Verständnis dafür hatte, dass seine Methoden keinen Einzug zum Militär fanden.
Zu 4)Wenn ein Offizier, noch dazu ein begeisterter Reiter, sich fotografieren lässt, kann man schon unterstellen, das dies bewusst in dieser Position geschehen ist. Das seine Pferde robust und ausdauernd waren, ist vielleicht dem Umstand geschuldet, dass er seine Pferde als Offizier für Eingeborenenfragen in Marokko zwischen zwei Dörfern bewegen musste. Oliveira:”So ist er zumindest teilweise von den Mißlichkeiten der Dressur im Halten verschont geblieben, die so verheerend für die Baucheristen war”
Ich hoffe Sie finden das jetzt ebenfalls nicht anmaßend: Vielleicht brauche ich keine 30 Jahre um zu Erkennen wo Bauchers Werke einzuordnen sind 😉 Aber vielleicht klingt das wieder versöhnlich: auch ich bediene mich einiger wichtiger Elemente seiner Arbeit, die ich für mich persönlich als nützlich erachte.
Stephan Mott
Hallo Herr Mott!
Natürlich stimme ich Ihnen zu, was Ihre Einschätzung der literarischen Aktivitäten Bauchers betrifft. Es ist vielen (und nicht nur mir) ein Rätsel, warum er sein wichtigstes Werk mit dermassen großkotzigen Behauptungen gespickt hat, dass man manchmal eher an einen pubertierenden Halbstarken als an einen seriösen Reitmeister denken muss (und warum er bis an sein Lebensende dieses nicht korrigiert hat.) Er schreibt ja buchstäblich, dass niemand vor ihm das Wesen der Versammlung begriffen hat – und das in Frankreich, einem Land, der zu seiner Zeit auf eine so lange Reihe von erlesenen Reitmeister und Reitschulen zurückblicken könnte, wie kaum ein anderer in Europa und auf der Welt.
Ich bin überzeugt, dass er einige strittige Punkte seiner Reitlehre aufgestellt hat nur als Versuch diese (von vorne herein unhaltbare) Behauptung zu beweisen (so wie das von Ihnen hervorgebrachte Beispiel des Schulterhereins).
Und trotzdem fällt meine Interpretation vom seinem gesamten Wirken anders aus: ich bin der Meinung, dass Baucher die Geschichte der Reitkunst geprägt hat, wie kaum ein anderer. Seine Ideen lassen sich in unglaublich vielen Reitweisen und Reitstielen finden (über sein Einfluss auf das heutige Westernreiten habe ich sogar mal selbst einen Artikel verfasst). Auch wenn viele dieser Ideen ihr Ursprung nicht beim Baucher hatten sondern woanders (wie Sie das am Beispiel von Leichtigkeit und la Broue erwähnen), so ist es trotzdem Baucher zu verdanken, dass sie am Ende dann solche Verbreitung fanden.
Die Geschichte der Reitkunst kennt übrigens noch mehr solche Fälle: so scheint zum Beispiel das Schulterherein im deutschsprachigen Raum unzertrennlich mit dem Namen von la Gueriniere verbunden zu sein. Auch hier hat la Gueriniere die Übung weder erfunden, noch als erster beschrieben, ganz davon zu schweigen, dass seine Auffassung von Schulterherein (sprich die Hilfen, die Art der Ausführung und die Ziele) sich von der der meisten deutschsprachigen Autoren ganz erheblich unterscheidet. Natürlich könnte man endlose Lanzen brechen, um diesen Umstand richtig zu stellen, aber man hat ja nicht unbegrenzt Zeit und es gibt in der Reiterei so viele aktuellere Themen…
Und genauso geht es mir mit dem Auseinanderklauben, welches von dem, was wir beim de Kerbrech und l’Hotte finden, tatsächlich vom Baucher stammt und welches zu dem, was Sie als „Abwandlungen“ bezeichnen, gehört. Nach eigenen Angaben hat de Kerbrech sich recht genau an Bauchers Unterweisungen gehalten, wie das wirklich im Einzelnen war werden wir mehr als 100 Jahre danach nicht mehr herausfinden können. Ich hoffe trotzdem, dass meine Wertschätzung für die beiden genannten Autoren aus meinen Texten klar herauszulesen ist.
Dagegen unterscheide ich aber recht genau zwischen der 1. und der 2. Manier, von denen ich nur der 2. das Prädikat „Nachahmenswert“ verleihe – sofern man in der Reiterei überhaupt fürs Nachahmen plädieren kann. Da wir Reiter mit Lebewesen zu tun haben kann Nachahmen nur mit fachkundiger Anleitung und solidem Eigenstudium von Grundlagen (Anatomie, Psychologie, spezifische Probleme einiger Rassen) zu nennenswerten Fortschritten führen. Außer man gehört zu den auserwählten Genies, aber auch dann soll man besser vorsichtig sein, wie die Lebensgeschichte von Baucher es uns eindrücklich beweist…
Und dann noch ein paar Worte zu meinem Lieblingsautor Beudant:
In meiner Kindheit habe ich Arbeitspferde erlebt, die tagtäglich Strecken zwischen zwei Dörfern zurücklegen mussten. Kein einziges von ihnen ist durch besondere Leistungen auf der Rennbahn oder beim Springen aufgefallen ;–) Auch die Pferde von Beudants Kameraden sind diesbezüglich unauffällig geblieben, obwohl wir davon ausgehen müssen, dass ein Kavallerieoffizier nur seltenst alleine unterwegs war. Es musste also noch weitere Pferde geben, die regelmässig die gleiche Strecken zurücklegten wie seine, ohne dass sie dadurch so gut wie seine geworden sind. Eine gewisse Menge an Effizienz werden wir ihm also nicht absprechen können.
Ich sehe auch einen wesentlichen unterschied zwischen Beudant und Oliveira, vielleicht weil ich das seltene Glück hatte, Filmaufnahmen von Oliveiras Arbeit mit seinen eigenen Pferde zu sehen (an dieser Stelle noch mal mein Dank an Dr. Stodulka, dem ich diese Gelegenheit verdanke). Ich weiß nicht, wie Oliveira sich selbst theoretisch zwischen der 1. und der 2. Manier positionierte, für meine Begriffe war seine praktische Arbeit sehr stark durch die 1. Manier geprägt (zwar sehr feine aber doch recht dominante Hand und sehr wenig Vorwärts).
Beudant dagegen (nach seinen eigenen Angaben) orientierte sich eindeutig am de Kerbrech und damit ganz klar an der 2. Manier. Einer der wesentlichsten Unterschiede zwischen der 1. und der 2. Manier und eine der wichtigsten Neuerungen dort ist in meinen Augen die Definition der Légèreté, die auf die Reaktion aufs Bein erweitert worden ist. So wie das Einhalten der Leichtigkeit den Reiter von übertriebenen Handeinwirkungen schützt (wenn man es mit der Hand übertreibt verliert man die Leichtigkeit – und damit weißt man sofort, dass man nicht mehr so stark einwirken darf) so auch, sobald man mit der Arbeit auf der Stelle und in langsamen Bewegungen übertrieben hat, geht die Leichtigkeit am Bein verloren. Man muss also lediglich dieses einfache Prinzip beachten, um vielen Problemen erfolgreich zu entgehen.
In meinen Augen ist das eine mindestens genauso gute Erklärung für seine Erfolge wie das Pendeln zwischen 2 Dörfern. ;–)
Wie Sie sehen kann ich einfach nicht anders, als die 2. Manier als ein geniales und fein durchdachtes Ausbildungssystem zu sehen … ;–) Auch wenn das Nachahmen, wie bereits gesagt, nicht immer ohne weiteres einfach ist.
Trotzdem Danke für den inspirierenden Austausch
T. Twardowski